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Das Konzert »Pony Says« ist bereits zu Ende.

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Steven Kazuo Takasugi: Die Klavierübung. Version für Pony Says

Als ich in meiner Wiener Zeit „Die Klavierübung“ komponierte (mit digitalen Klaviersamples, anfangs ohne Live-Performance), begleitete mich der Gedanke an einen Klavier-Selbstmord überall hin und plagte mich bis zum Schluss. Nun bin ich in diesem Zusammenhang nicht leichtfertig mit dem sehr ernsten Begriff der Geisteskrankheit umgegangen. Der Gedanke ist natürlich ein persönlicher, aber wie ich einmal einem guten Freund sagte, kann man in der Kunst Dinge tun… wie zum Beispiel Selbstauslöschung…, die man im Leben nicht tun kann. Die Wahrheit ist, es war, als ob das Klavier, erschöpft von seinem Repertoire und seiner langen und illustren Geschichte, mich mit Nachdruck fragte: „Warum schreibst du noch ein Klavierstück?! Requiescat in pace. Lass mich doch in Frieden ruhen!“ Ich muss gestehen, diese Idee kam mir hier in Stuttgart, in der Akademie Schloss Solitude. Das Schloss selbst wurde gerade grundlegend renoviert, und um die Öffentlichkeit aufzuklären, wurden das verrottende Holz und der bröckelnde Putz der Inneneinrichtung ausgestellt, ebenso wie die exorbitanten Kosten der Renovierung, die damals noch nicht beschafft werden konnten. Dies diente zweifelsohne als Werbung für finanzielle Unterstützung. Im Schloss selbst wohnte niemand, aber an sonnigen Sommertagen diente es als Kulisse für die Inszenierung von Hochzeitsfotos: Es war, als ob das Schloss auch für die Kamera lächeln musste, und es tat mir leid… dieses alte Schloss, das so viel Geschichte erlebt hatte und, ehrlich gesagt, müde war… natürlich erschöpft, von innen heraus verrottet, aber gezwungen wurde, aufrecht zu stehen und dem Fotografen „cheese“ zu sagen. Und analog dazu gab es etwas in der egoistischen Idee, das Klavier am Leben zu erhalten, dass das Instrument… nun so infiziert und durchdrungen war von seiner neu digitalisierten Unterlage… ein digitalisiertes fabriziertes Grinsen sozusagen… dass es sich selbst nicht mehr als Klavier, als Mensch erkannte.
Steven Kazuo Takasugi
Überarbeiteter Auszug aus einem Vortrag mit dem Titel „JNH: Just-noticeably Human: Vortrag über musikalische Menschlichkeit im Zeitalter der digitalen Automatisierung“ für die Kulturstiftung Schloss Wiepersdorf, 18. Oktober 2021.

 

Biographie

Steven Kazuo Takasugi

Steven Kazuo Takasugi (*1960 in Los Angeles) ist ein Komponist elektroakustischer Musik. Dazu sammelt und archiviert er aufgezeichnete akustische Klangbeispiele in großen Datenbanken, die jeweils Tausende von einzelnen gespielten Instanzen klassifizieren, die er in jahrzehntelangen Experimenten und Forschungen, meist in seinem privaten Klanglabor, gesammelt hat. Diese werden dann einer computergestützten algorithmischen Komposition unterzogen, überarbeitet und angepasst, bis die daraus entstehenden Klangphänomene, Energien und Beziehungen dem Komponisten verborgene Bedeutungen und Zusammenhänge offenbaren. Im Gegensatz zu diesem allgemeinen Vorhaben mit festen Medien beschreibt er die Hinzufügung von Live-Performern als ein begleitendes Projekt : “Wenn Menschen zurückkehren . . .”. Diese Beziehung erzeugt oft eine “seltsame Verdoppelung”, die mit dem “Wer macht was?” spielt, das mit der Gleichzeitigkeit von Live- und aufgezeichneten Medien einhergeht: eine Art Bauchredner-Effekt.

Steven Takasugi
Videostill: Michael Duffy
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Jessie Marino: The Ideal Hour/Collages with Tom

Überlagerung, Nebeneinanderstellung, freie audiovisuelle Assoziation und vor allem Zuhören und Reagieren standen im Mittelpunkt dieses Stücks von Pony Says und Jessie Marino. Jessie und Pony waren Fremde, die sich nur durch das Internet und ein paar Drinks nach einem Konzert kannten. Zu Beginn ihrer Zusammenarbeit bat Jessie Pony, zusammenzukommen und sich die 33-minütige Platte „Pieces for Kohn“ des experimentellen Komponisten und Toningenieurs Tom Hamilton (1976 auf Sonmath Records) anzuhören. Bei diesen Stücken handelt es sich um elektronische Kompositionen, die „konzeptionell aus grafischen Gemälden von Bill Kohn entstanden sind“. Die Bänder wurden bei der Eröffnung von Kohns Ausstellung in der Terry Moore Gallery in St. Louis aufgeführt, von denen eines auf dem Albumcover von Pieces for Kohn zu sehen ist. Die Absicht, mit einer Hörsitzung zu beginnen, bestand darin, eine kleine Welt aufzubauen – eine Welt, die einfach auf der Erfahrung beruht, dieselbe Platte zu hören. Aus dem gegenseitigen Kennenlernen von Tom Hamiltons fantastischen Stücken ergaben sich klangliche Assoziationen, die uns eine gemeinsame Basis für das Anlegen unserer Ohren boten. Wir tauschten unsere Eindrücke von den Klängen selbst aus, und diese Einblicke verschafften uns einen winzigen Einblick in die Ohren und den Verstand des anderen. Wie hören wir zu? Was fällt uns an der Musik auf, wenn wir gemeinsam zuhören? Was bemerken wir über uns selbst, wenn wir unsere Erfahrungen mit anderen teilen und vergleichen? Von unserem gemeinsamen Hörraum aus begannen wir zu spielen – zunächst mit einer Annäherung an die Klänge, rhythmische Muster, Klanghölzer, Szenen und Charaktere, zu denen wir uns in Pieces for Kohn hingezogen fühlten, aber dann bewegten wir uns schnell und zielstrebig über das Simulakrum hinaus und in einen Raum hinein, der ein Zusammenfluss von gespielten Erfahrungen mit und ohne unsere jeweiligen Klangwerkzeuge ist. Der Spielplatz von Tom Hamilton bot uns eine Grundlage und einen Treffpunkt – die musikalische Beziehung, die wir durch Zuhören aufgebaut haben, gab uns einen ganz eigenen Spielplatz.
Jessie Marino

Biographie

Jessie Marino

Jessie Marino (*1984, New York) ist eine Komponistin, Performerin und Medienkünstlerin. In ihrer Arbeit erforscht sie die Wiederholung in alltäglichen Aktivitäten, rituelle Absurditäten und die Entdeckung nostalgischer Technologien. Ihre Werke bestehen aus Sound, Video, physischen Bewegungen, Beleuchtung und Inszenierung, die dann in organisierte zeitliche Strukturen, gebrochene Erzählungen und musikalische Rahmen eingefügt werden. Ein Großteil von Marinos interdisziplinärer kompositorischer Arbeit verzichtet auf konventionelle Instrumente und fordert die Darsteller auf, ihre Körper – mit präzise artikulierten Gesten, Gesichtsausdrücken und alltäglichen körperlichen Bewegungen – sowohl als Alternative als auch als Ergänzung zu musikalischen Klängen einzusetzen. Ihre Arbeit kartografiert die Art und Weise, wie Menschen mit ihren Körpern in einem performativen Zeitrahmen kommunizieren, und enthüllt die Musikalität, die in alltäglichen Gesten, Zeichen und Demonstrationen verborgen ist, die sowohl bewusst als auch unbewusst übermittelt werden. Marino findet Humor und Tiefgang in persönlichen Interaktionen und der Art und Weise, wie Menschen sich im physischen Raum bewegen – ein improvisierter Akt, der an ein Ballett, eine Dinnerparty oder ein Demolition Derby erinnern kann.

 

www.jessiemarino.com

Foto: privat
Biographie

Pony Says

Pony Says ist ein Trio, das sich auf zeitgenössische Musik und freie Improvisation spezialisiert hat. Neben ihren Haupt-Instrumenten (Klavier/Keyboard, Schlagzeug/E-Drums, Gitarre/E-Gitarre) spielen die Mitglieder ad-hoc-Instrumente, steuern Live-Elektronik und integrieren Licht und Video in ihre Performance.

 

Von Pony Says in Auftrag gegebene Werke entstehen stets in enger Zusammenarbeit mit Komponist*innen und beziehen sich auf soziokulturelle Themen gepaart mit dem Klang analoger wie digitaler Diesseitigkeit. Pony Says mischen in ihren noise-lastigen Improvisationen dichte elektronische Texturen mit Sound-Klischees und rhythmischen F(r)akturen.

 

Bis jetzt spielten sie Uraufführungen von Neo Hülcker, Philipp Krebs, Ui-Kyung Lee, Martin Schüttler, Julian Siffert und Yiran Zhao.
http://www.ponysays.de

Foto: Julia Schäfer
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