Prolog
Hear it Coming. Aus dieser knappen Aufforderung könnte man die ganze reichlich dystopische Hochspannung heraushören, die gesellschaftlich aufmerksame Menschen derzeit mit sich herumtragen. Was kommt da gerade weltpolitisch auf uns zu, wie begegnen wir dem, wie kommen wir ins Handeln? Hear it coming könnte aber auch als Grundidee für viele künstlerische Anliegen stehen, die sich ins Festival eingeschrieben haben. Das Hören als Erkenntnisprozess.
Wie bei Kirsten Reeses Future Forest mit dem Ensemble Recherche: Es basiert auf Forschung, die den Zustand der Natur an ihren Klängen abzulesen vermag. Oder beim ECLAT-Debüt des italienischen Ensembles Azione Improvvisa, das sich sehr spekulativ mit der Zukunft beschäftigt. Oder–auch hier Spekulation: Franz Kafkas Bild des sich die Ohren verstopfenden Odysseus, das Francesca Verunelli zu feinster hypothetischer Musik für das Ensemble C Barré und die Neuen Vocalsolisten angeregt hat. Oder bei Malte Giesens Werk für Ensemble Ascolta, bei dem die Musik sich allmählich aus weißem Rauschen herausschält. Oder bei Hans Thomallas musikalischer Erkundung der Nacht mit–noch ein Debüt–Ensemble LUX:NM. Oder bei Éndropía, in dem Samir Odeh-Tamimi einen thermodynamischen Zustand auf Musik überträgt. Oder bei den Werken des SWR Vokalensembles, in denen sich ein gegebenes Thema rein klanglich vermitteln soll. Oder schließlich bei lin korobkova, die aus einem ungleichen musikalischen Zwiegespräch Erinnerung zurückgewinnen möchte. Während Malin Bång mit dem SWR Symphonieorchester Erinnerungsräume im orchestralen Klang sucht.
Hear it coming ist aber der Titel einer raumgreifenden Performance von Andreas Eduardo Frank und meint zunächst eine ganz neue kollektive Hörerfahrung durch sich ständig verändernde Klangbewegungen im Raum–und damit verbunden ein kritisch posthuma- nistisches Denkmodell. Auch die nächsten beiden Abende–besser Nächte–sind von dieser Philosophie angesteckt. Mit Mutante bereichern Ricardo Eizirik und Pony Says mit DJs der hiesigen Clubszene die Stuttgarter Clubnacht. Ein Kollektiv von dem Queeren verbundenen Künstler*innen bereichert wiederum Luxa M. Schüttlers Performance am späten Samstagabend.
Kollektive–darunter das eigens für ECLAT gegründete Ensemble- Kollektiv Baden-Württemberg–gestalten auch das Preisträgerkonzert sowie zwei Projekte aus Osteuropa: New Sounds of the Future mit Komponist:innen aus osteuropäischen Autokratien und BALKAN AFFAIRS. Dieses vielleicht gewichtigste Projekt im Festival lenkt in ungeheurem ästhetischen Reichtum unseren Blick auf die Länder des ehemaligen Jugoslawiens und bringt uns künstlerisch eindringlich nahe, was wir dort über den Zustand unserer Welt erfahren können.
»The future belongs to those who can hear it coming« heißt das ganze David Bowie Zitat, dem der obige Werktitel entstammt. Wo hören wir die Zukunft, wenn nicht hier in all diesen Projekten!? Also: Bleiben wir wach, hören wir hin und zu, aufeinander und gemeinsam–und gestalten wir gemeinsam in all unserer Unterschiedlichkeit die Zukunft. Sie gehört uns. Wir sollten sie uns nicht nehmen lassen.