Oscar Bianchi: Ante Litteram
für sechs Stimmen a cappella (oder für sechs Stimmen und Bassklarinette)
Texte: Oscar Bianchi, frei nach David Foster Wallace’s “The Infinite Jest”, Friedrich Nietzsches “Der Antichrist“ und dem Vigyan Bairav Tantra
(2011/2013)In einem Teil des Romans »Infinite Jest« (»Unendlicher Spaß«) von David Foster Wallace habe ich eine interessante Übereinstimmung mit einem Teil aus Friedrich Nietzsches »Der Antichrist« gefunden. Es geht bei beiden um die Suche nach Klarheit beim Erkunden all dessen, was den Menschen gemeinhin von einer tiefer liegenden Kenntnis, von einem Bewusstsein seiner selbst abhält.
Wallace erkennt das Übel aller Übel (den weißen Hai des Schmerzes) in der neurotischen Depression (Melancholie, Anhedonie), Nietzsche erkennt dieses Übel im Christentum (in Wahrheit in den Werten der modernen Welt).
Die Naivität von Wallace beim Beschreiben und Verstehen dieses Übels ähnelt sehr stark der überbordenden Intensität Nietzsches bei seiner Verdammung des Christentums (die teilweise aus einem leidenschaftlichen, halluzinatorischen »Streben« der nachromantischen Ära herrührte und wahrhaftig zur Umwertung aller Werte führte), deshalb schlägt die freie Assoziation ihrer Texte in »Ante Litteram« eine dialektische und teilweise ins Absurde gehende Lektüre vor (denn so ist jene verzweifelte Leere, jener Kurzschluss, in dem der Strom aus dem Inneren generiert und empfangen wird–David Foster Wallace über die Melancholie).
Um die dichotomische und fast minimalistische Narrativität des Textes in »Ante Litteram« zu zerbrechen, verweist ein Zitat (… consume the change…) auf jene Seelenreinigung, die Friedrich Nietzsche in seiner Beschreibung des Buddhismus findet. Diese drei Achsen–Übel, Moral, Errettung (oder Hygiene des Geistes) durchziehen querliegend und synkritisch den Text von »Ante Litteram«, sie formen die musikalische Intuition.
Oscar Bianchi
(Übersetzung aus dem Italienischen: Angela Reinhardt)