One line

Turgut Ercetin: Das Phonem zwischen zwei Wörtern (b)

für Barockensemble und großes Orchester

(2023)

Das Phonem zwischen zwei Wörtern (b) ist nicht als Konzert gedacht. Vielmehr wurden in zwei verschiedenen Stimmungen für zwei voneinander abhängige Stücke komponiert, die zusammen oder als zwei eigenständige Werke aufgeführt werden können. Das für Barockensemble und großes Orchester geschriebene Werk ist der zweite Teil eines dreiteiligen Zyklus, der sich mit einer mehrdimensionalen Studie über Klangfarben- und Harmonieräume befasst. Er bietet Gelegenheit zu überdenken, wie diskrete Zuordnungen einer bestimmten Stimmung gleichzeitig in kontinuierlichen Begriffen neu gedacht werden können.

 

Diese Komposition wurde für das große Orchester in 443 Hz geschrieben und in Bezug auf ein akustisches 3D-Modell komponiert, das ich auf der Grundlage von nicht mehr existierenden architektonischen Strukturen entworfen habe: Konkret geht es um die Johannes-Basilika in Ephesus aus dem 6. Jahrhundert und die Kirche der Heiligen Apostel in Konstantinopel. Anstelle einer Simulation oder eines festen Beobachtungspunktes aktivierte ich den Ansatz des 3D-Modelling, um eine klanglich-zeitliche Architektur zu entwickeln, die aus zwei Räumen hervorgeht. Damit entsteht die Möglichkeit, auch das, was dazwischen liegt, zu visualisieren und neu zu imaginieren. Räume, die die Vergangenheit verkörpern, die aber ausgelöscht wurden, werden durch physische Nähe und durch Klang neu sichtbar.

 

Das in 415Hz komponierte Stück für das Barockensemble beschäftigt sich in Korrespondenz dazu mit dem Design und der Bauweise von Instrumenten und mit ihrer Beziehung zu Körper und Raum. Es soll damit nicht eine festgelegte Vergangenheit mit einer festgelegten Gegenwart arrangiert werden, vielmehr wird nachvollziehbar, wie vergangene Zeiten zeitgenössische Aufführungspraktiken beeinflussen. Gleichzeitig werden die Bedingungen für die Beziehung zwischen Instrumentendesign, Körperlichkeit und Raum beleuchtet.

 

Wechselwirkungen zwischen Klang, Raum und Körperlichkeit erscheinen in einem Modus des absichtlichen Vergessens oder Verlernens. So ist diese Komposition in ihrer Gleichzeitigkeit auch ein Versuch, dem Rechnung zu tragen, was vielleicht nicht sichtbar, aber dennoch im Raum präsent ist. Spuren multipler Vergangenheiten werden thematisiert, nicht nur in Bezug auf die Bedingungen dessen, was bleibt, sondern auch in Bezug auf die Bedingungen der Auslöschung.

Turgut Ercetin