Julien Jamet: Nuit
for bass clarinet, violoncello and piano
(2022)Es ist schwierig, einen Programmtext zu schreiben, wenn man kein eigentliches »Programm« hat. Während der Komposition dieses Stücks hatte ich oft das Gefühl, nicht zu wissen, wo ich bin oder wohin ich gehe.
Ganz zu Beginn des Kompositionsprozesses stellte ich mir Situationen für das Trio Catch vor, sammelte verstreute Elemente, Rhythmen, Gesten, mögliche Abfolgen etc. Anfangs habe ich diese Elemente nur skizziert, habe sie oft ohne genaue Tonhöhen oder Rhythmen, oder sogar eher poetisch-sprachlich als technisch-instrumental notiert. Sie sind auf dem Papier wie festgefroren, und ich weiß noch nicht, wie sie zum Leben erweckt werden können.
Aber nach und nach beginnen sie in meiner Vorstellung, in meinen Träumen zu leben. Die Musik kommt also in Bildern zu mir–manchmal präzise, aber meistens verschwommen, unvollständig, bruchstückhaft. Ich fühle mich wie Marlow in Joseph Conrads Das Herz der Finsternis: »Mir kommt es vor, als versuchte ich euch einen Traum zu erzählen, versuchte es vergebens, denn niemals kann die Erzählung eines Traumes das Traumhafte wiedergeben.«
Bis weit in den Kompositionsprozess hinein ist nur sehr wenig endgültig festgelegt, da meine Fantasie ständig in Bewegung ist und meine Vorstellungen flüchtig und widersprüchlich sind. Jeden Tag stelle ich das, ich am Vortag geschrieben habe, wieder in Frage. Die Variationen einer Ursprungssituation verflechten sich so nach und nach zum Stück. So spielen Wiederholung eine zentrale Rolle in meiner Musik, aber selten in genauer Form. Durch die beständige Re-Komposition derselben Ausgangssituation ist der Eindruck einer Wiederholung nicht immer eindeutig, die Transformationsschritte meist verschleiert. Vielmehr geht es darum, den Eindruck entstehen zu lassen, dass etwas vertraut ist, sich aber beim jedem weiteren Erscheinen wie erneuert zeigt. Wie in einem Traum, in dem die Situationen und Geschehnisse oft vertraut scheinen, das Gefühl der Fremdheit aber allgegenwärtig ist, versuche ich in meinen Kompositionen, dieses Gefühl der Fremdheit, des Déjà-vu, des Schwindels zu erzeugen und Unerwartetes aufeinandertreffen zu lassen.
Nicht zuletzt trägt auch die Verwendung von sehr leisen Dynamiken zu dieser Ästhetik bei. Sie sind–zumeist–nicht der Verwendung von an sich weniger klangvollen Spieltechniken geschuldet, sondern vielmehr meiner Absicht, eine Musik mit nicht zu stark ausprägten Konturen zu schreiben und sie so zum Teil der Vorstellungskraft des Hörers zu überlassen.
Julien Jamet (Übersetzt von Matthias Krüger)